Historischer Geburtenrückgang spaltet Schweizer Parlamentarier
Die Schweiz verzeichnet seit Beginn der statistischen Erfassung 1876 den tiefsten Geburtenrückgang ihrer Geschichte. Diese am Montag vom Bundesamt für Statistik veröffentlichten Zahlen werfen grundsätzliche Fragen zur Zukunft unseres Landes auf und spalten das Parlament in unterschiedliche Lager.
Dramatischer Wandel bei der jungen Generation
Besonders alarmierend erscheint die Entwicklung bei den 20- bis 29-Jährigen: Während 2018 lediglich acht Prozent dieser Altersgruppe kinderlos bleiben wollten, verdoppelte sich dieser Anteil bis 2023 auf 17 Prozent. Diese Zahlen dokumentieren einen gesellschaftlichen Wandel, der weit über demografische Statistiken hinausgeht.
Linke fordern staatliche Intervention
SP-Nationalrätin Sarah Wyss sieht dringenden Handlungsbedarf: "Wenn Menschen auf Kinder verzichten, weil sie es sich nicht leisten können oder es mit ihrer Erwerbstätigkeit nicht vereinbar ist, dann müssen wir unbedingt etwas unternehmen", erklärt sie. Die bereits laufenden Bestrebungen wie die Kitainitiative, Individualbesteuerung oder Elternzeit gingen zu langsam voran.
Wyss warnt vor den langfristigen Konsequenzen: Ein auf Wachstum ausgelegtes System müsse bei sinkenden Geburtenzahlen entweder Wohlstandsverluste hinnehmen oder das demografische Defizit durch verstärkte Migration kompensieren.
FDP setzt auf finanzielle Anreize
FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt, selbst frischgebackener Vater, bezeichnet die Entwicklung als "besorgniserregend". Seine Partei favorisiert marktwirtschaftliche Lösungen: Die Individualbesteuerung soll beiden Partnern Erwerbstätigkeit ermöglichen, während unbegrenzte Steuerabzüge für Kinderbetreuung junge Familien finanziell entlasten sollen.
Bürgerliche Kritik an staatlicher Bevormundung
Mitte-Nationalrat Lorenz Hess zeigt sich unbesorgt und warnt vor staatlicher Einmischung in die Familienplanung. "Es gibt gesellschaftliche und soziale Trends, die in die eine oder andere Richtung gehen, ohne dass wir das beeinflussen können, und das ist gut so", betont der Berner Politiker mit Verweis auf die chinesische Ein-Kind-Politik als warnendes Beispiel.
SVP kritisiert gesellschaftlichen Wertewandel
SVP-Nationalrätin Vroni Thalmann-Bieri äussert sich kämpferisch zu einer Entwicklung, vor der ihre Partei lange gewarnt habe. Sie kritisiert die gesellschaftliche Geringschätzung traditioneller Mutterrolle und fordert: "Wenn die Wirtschaft so viele Frauen bei der Arbeit braucht, sollen die Arbeitgebenden auch dafür sorgen, dass sie eine Kinderbetreuung anbieten."
Die Luzerner Nationalrätin mahnt die junge Generation zu einer Neubewertung ihrer Prioritäten: Anstatt nur zu studieren, müsse sie lernen, dass der Aufbau einer Familie Verzicht auf gewisse Annehmlichkeiten erfordere.
Grundsatzfrage für die Schweizer Zukunft
Der historische Geburtenrückgang stellt die Schweiz vor eine Grundsatzentscheidung: Soll der Staat durch gezielte Familienpolitik in demografische Entwicklungen eingreifen, oder müssen gesellschaftliche Trends als natürliche Entwicklung akzeptiert werden? Diese Debatte wird die Schweizer Politik in den kommenden Jahren prägen und erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen staatlicher Intervention und individueller Freiheit.
Die unterschiedlichen politischen Ansätze spiegeln dabei fundamentale Weltanschauungen wider: Während die einen auf staatliche Unterstützung setzen, vertrauen andere auf gesellschaftliche Selbstregulierung und warnen vor den Gefahren staatlicher Bevormundung.